Von den „Herrischen“, Fremden und Gästen
S.L. – Der/die Autor*in möchte gerne anonym bleiben.
Dass einer Benennung oft auch eine Bewertung oder Zuschreibung innewohnt, und dass diese oft auch auf die Qualität der Beziehung zwischen Benenner und Benanntem verweist, zeigt sich in Österreich etwa in den beiden oft synonym verwendeten Begriffen GASThaus und WIRTShaus. Für die Konsument*innen dürfte es dabei allerdings nicht unwesentlich sein, ob sie es mit einem Haus für den Gast, oder aber einem Haus des Wirtes zu tun haben. Und so ist es auch mit den Beziehungen und Benennungen der Akteure im Tourismus (oder doch dem Fremdenverkehr?).
Ohne jeden Zweifel ist der Tourismus jener Wirtschaftszweig, der seit mehr als 100 Jahren alle Lebensbereiche der Bewohner*innen des Pinzgaus prägt wie kein anderer, und auch dieser selbst hat sich im Laufe der Zeit in Qualität und Quantität beständig verändert.
Meine Großmutter, Jahrgang 1911, erst Bauerstochter, dann Magd und schließlich selbst Bäuerin (mit Privatzimmervermietung) sprach nicht, wies es heute üblich ist, von Touristen, sondern von den „Herrischen“. Nicht in dem negativ behafteten Sinne, den dieses Wort heute hat, sondern den sozialen Unterschied hervorhebend. Sie waren die Herren, meine Oma in gewisser Weise deren Dienstbotin. Dieser Unterschied begann sich spätestens ab dem sogenannten Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit immer mehr zu relativieren. Zum einen wurde der Urlaub für eine immer breitere Maße erschwinglich, zum anderen führte der Tourismus auch bei der Bevölkerung im Pinzgau zu einer finanziellen Besserstellung.
Aus den „Herrischen“ wurden die „Fremden“ und der „Fremdenverkehr“ boomte. Die oft noch für eine große Zahl an Dienstboten errichteten Bauernhäuser boten Platz, und war sich auch mit der Unterbringung im Hotel nicht zu vergleichen, so hatte sie doch einen wesentlichen Vorteil: sie war preiswerter, Familienanschluss inklusive.
In einen ebensolchen Haushalt wurde ich Ende der 1970er Jahre hineingeboren und bis Ende der 1990er Jahre entsprechend sozialisiert. Und eines gleich vorab: ich fand das super! Zwar nicht immer und auch mit gewissen Einschränkungen, aber es war in vielerlei Hinsicht sicherlich einer der prägendsten Aspekte meines Heranwachsens. Da waren zum einen die offensichtlichen Goodies, welche sich für uns Kinder daraus ergaben: Gastgeschenke, Ausflüge mit den Gästen inkl. Pommes, Spezi und Eis, Freibadbesuche, Skiausflüge, neue Spielkameraden.
Und selbst die kurzfristige Vermietung des eigenen Kinderzimmers an die Gäste war eine eindeutige Win-Win-Situation, stand doch der einzige Fernseher im Haus im Wohnzimmer, in welchem ich für die Dauer des Aufenthalts einquartiert wurde.
Die Menschen selbst waren, der eigenen geographischen Immobilität geschuldet, ein Fenster zur Welt: fremde Gewohnheiten, fremde Sprachen und Idiome, fremdes Essen, u.v.m. Die ersten Urlauber aus der ehemaligen DDR mit ihren Trabanten, eine Angehörige der amerikanischen Streitkräfte die mit ihrem amerikanischen Auto angereist kam, welches wir sonst nur aus dem Fernsehen kannten, eine für uns exotische Leih-Oma aus Berlin, welche jedes Jahr viele Wochen bei uns verbrachte, Strahlenmessgeräte für die Pilzsuche, Fertiggerichte, rheinische Frohnatur und Rummy Abende nach flämischen Regeln und so vieles andere mehr.
Mein Blick zurück ist dabei natürlich immer noch jener des Kindes, das ich damals war. Dabei hatte die Zimmervermietung für viele Haushalte oftmals recht unromantisch eine in erster Linie existenzielle Bedeutung. Ein nicht zu unterschätzendes Zusatzeinkommen, vor allem für Frauen, welche auch den Gros der anfallenden Arbeit stemmten. Bildungsausgaben für die Kinder, etwa Internatskosten oder spätere Studienaufenthalte, waren nur dadurch erschwinglich. Doch auch auf Seiten der Erwachsenen entstanden auf persönlicher Ebene bis heute andauernde Freundschaften, Beziehungen oder Familienbande.
Und heute? Der Sprachwandel setzt sich fort. das Privatzimmer ist zur räumlich getrennten Ferienwohnung geworden, der Gast zum Touristen. Aber auch dieser Begriff scheint in Zeiten von Overtourism und „Tourist go home“ gerade eine Bedeutungsveränderung zu erleben.
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