Der Autor:
Rudolf Leo, Mag. Dr., ist Historiker in Wien und Linz und Lehrbeauftragter an der JKU in Linz. Er forscht und publiziert zur Zeitgeschichte, zu Opferbiografien im Nationalsozialismus, Arbeiten im Bereich der Nachkriegsjustiz, regionaler Aufarbeitung von Widerstand und Verfolgung zwischen 1938 und 1945 sowie zur Hilfestellung in Fragen der Familienforschung; siehe auch: www.zeit-geschichte.com
Schloss Fischhorn
Bekannt wird Fischhorn am westlichen Ortsende von Bruck an der Großglocknerstraße durch Reichsmarschall Hermann Göring. Er wird am 8. Mai 1945 von amerikanischen Soldaten festgenommen und nach Fischhorn gebracht. Das Schloss spielt in den letzten Tagen der NS-Ära eine zentrale Rolle. Führende SS-Funktionäre sind dort anwesend, da es als SS-Remonteamt[i], eine SS-Reitschule, benutzt wird, bevor es die Amerikaner im Frühjahr 1945 übernehmen.
Im September 1920 bricht im Schloss Fischhorn ein verheerender Brand aus. Das Feuer vernichtet alle wertvollen Möbel sowie die Bibliothek des Hauses. Henrique E. Gildemeister erwirbt 1921 das völlig zerstörte Gebäude in Bruck sowie das Schloss Kaprun.[ii] Gildemeister, ein wohlhabender peruanischer Staatsbürger, ist Botschafter Perus in Deutschland.[iii] Er verfügt über Besitzungen in Chile und Peru, sein Vermögen erwirtschaftet er aus dem Handel mit Salpeter, Reis und Baumwolle.[iv] Den Bezug zum Pinzgau erhält der Unternehmer über den Handel von Pinzgauer Rinder, die er bereits in den frühen 1920er Jahre nach Peru exportiert.[v] Das Schloss bleibt auch nach dem „Anschluss“ 1938 bis zum Jahr 1942 im Besitz Gildemeisters.
Am 1. Mai 1943 wird die Liegenschaft vom Reichsführer Heinrich Himmler für die SS-Pferdezucht beschlagnahmt.[vi] Schloss Fischhorn dient von 1944 bis zur Befreiung im Mai 1945 als Nebenlager des Konzentrationslagers Dachau. 150 Häftlinge werden zur Renovierung, zum Bau der Pferdeställe für das SS-Remonteamt und zur landwirtschaftlichen Arbeit herangezogen.[vii]
Das Schloss untersteht dem Kommando von SS-Gruppenführer Otto Hermann Fegelein. Er ist Generalleutnant der Waffen-SS, Verbindungsoffizier direkt zum Führerhauptquartier und Schwager von Eva Braun.[viii] Die Eltern Fegeleins sowie führende SS-Funktionäre wohnen ab 1943 im Schloss.[ix] Während des Warschauer Aufstandes 1944 plündern SS-Soldaten im Beisein von SS-Gruppenführer Hermann Fegelein polnische Museen und Paläste.
Insgesamt werden 16 Eisenbahnwaggons voll beladen mit Beutekunst nach Fischhorn gebracht. Als die Amerikaner am 8. Mai 1945 Schloss Fischhorn übernehmen, sind lediglich zwölf Eisenbahnwaggons vorzufinden, die nach Warschau rücküberstellt werden.
Der Rest wird von der SS gestohlen oder von der einheimischen Bevölkerung geplündert. 481 Gemälde, 2.124 Grafiken, 81 Gobelins, 376 Kunstobjekte ohne nähere Bezeichnung, 46 Skulpturen, 313 Porzellangegenstände, 164 Möbelstücke, 17.000 Bücher, 2.584 Archivmappen und zahlreiche Orientteppiche werden von den amerikanischen Soldaten im Schloss und in den angrenzenden Baracken vorgefunden.[x]

Postkarte von Schloss Fischhorn
Postkarte von Schloss Fischhorn, Verlagsanstalt Schöllhorn Innsbruck, verschickt 1932, im Besitz von Rudolf Leo
Die Tage vor dem Einmarsch der Amerikaner verlaufen auf dem Schloss hektisch. Die SS-Funktionäre sind bestrebt, belastende Spuren zu vernichten. SS-Uniformen, Akten, persönliche Briefe Eva Brauns an Adolf Hitler und anderes Material werden oder sollen verbrannt werden. Aus den Vernehmungen führender SS-Funktionäre geht hervor, dass jedoch nicht alles, was zur Verbrennung bestimmt war, auch wirklich vernichtet wurde.[xi]
Im August 2007 wird – es ist dies bisher der letzte Fund – ein kostbares, rund 800 Jahre altes Limoges-Kreuz entdeckt. Aufgetaucht ist das vergoldete Kupferkreuz bereits 2004 in Zell am See im Zuge einer Wohnungsauflösung in einem Sperrmüllcontainer. Das Kreuz stammt aus dem Beutegut der Nationalsozialisten. Es befindet sich bis 1941 im Besitz der polnischen Adeligen Izabella Elzbieta von Czartoryski-Dzalinska. Neben anderen Kunstschätzen wird das Kreuz nach dem Warschauer Aufstand nach Österreich in das Schloss Fischhorn gebracht. Die Finderin erkennt den Wert und die Herkunft des Kupferkreuzes zunächst nicht. Erst im August 2007 zeigt sie den Fund einem Nachbarn, der den Wert erkennt und den Kustos des Bergbaumuseums in Leogang einschaltet. Dann wird das Landeskriminalamt aktiv. Im Mai 2008 wird das Kupferkreuz der polnischen Familie zurückgegeben.[xii]

Schloss Mittersill von oben (c) Walter Reifmüller
Schloss Mittersill von oben (c) Walter Reifmüller
Schloss Mittersill
Im Land Salzburg befinden sich während der NS-Ära insgesamt fünf Außen- bzw. Nebenlager von Konzentrationslagern. Die meisten von ihnen gehören zum Konzentrationslager Dachau. Schloss Mittersill bildet eine Ausnahme. 1944 als KZ-Nebenlager errichtet, ist es zunächst dem Konzentrationslager Ravensbrück unterstellt, ab Mitte 1944 wird es dem Konzentrationslager Mauthausen zugeordnet.[xiii]
Nach dem „Anschluss“ 1938 wird das Gebäude von der SA besetzt. Im Juli 1938 vernichtet ein Brand den Großteil des Schlosses. Für das Anwesen gibt es mehrere Interessenten unter den NS-Funktionären. Die Hitler-Jugend plant ein Hotel, die SS will dort eine „ökologisch-biologische Außenstation“ und ein „Schulungslager für zukünftige Expeditionen“[xiv] einrichten. Himmler setzt sich durch. Im Mai 1943 ergeht die Mitteilung an den Gauleiter Salzburg, „Schloß Mittersill mit sämtlichen dazugehörigen Liegenschaften der Waffen-SS zur Benützung zuzuweisen.“[xv] Für diesen Zweck wird das „SS-Sonderkommando ‚K’“ mit SS-Sturmbannführer Ernst Schäfer an der Spitze gegründet. Die Einheit erhält „besonders kriegswichtige und geheime Aufgaben“.[xvi] Zwischen August und Dezember 1943 werden die Schäden nach dem Brand im Schloss Mittersill repariert. Dafür kommen neben einheimischen Handwerkern rund 30 Gefangene aus der Strafanstalt Bernau (Bayern) zum Einsatz. Die Hausarbeit übernehmen ab 24. März 1944 15 weibliche Häftlinge aus dem Konzentrationslager Ravensbrück, die dort als „Bibelforscherinnen“ inhaftiert sind. Neun der Frauen werden bereits nach wenigen Tagen weiter in das steirische Schloss Lannach überstellt, sechs weibliche Häftlinge bleiben in Mittersill.[xvii] Auch Lannach, heute im Besitz der Familie des ehemaligen Wirtschaftsministers Martin Bartenstein, wird im Juli 1943 dem Institut „SS-Ahnenerbe“ zugesprochen.[xviii] Am 8. Mai 1945 werden die inhaftierten Frauen in Mittersill von amerikanischen Soldaten befreit.[xix]
Schloss Fischhorn als auch Schloss Mittersill sind „vergessene Orte“. Als Mahnmal und als Ort des Gedenkens sollten sie nicht in Vergessenheit geraten. Bisher weist kein Hinweisschild, kein Gedenkstein, keine sichtbare Erinnerung auf die dunkle Geschichte hin. Das Jahr 2025 – 80 Jahre nach der Befreiung – würde eine gute Gelegenheit bieten, diesen Mangel zu beheben. Schweigen und Verstecken sollten der Vergangenheit angehören. Auch hier gilt: „Niemals vergessen!“
detours Pinzgau
Orte, die Sie jeden Tag sehen und solche, die Sie vielleicht noch nie gesehen haben – oder bisher nicht unter diesem Blickwinkel – können Sie mit der performativen Bustour des Projekts detours Pinzgau (guerilla architects) entdecken.