Theaterensemble Nesterval. Herr Finnland und Frau Löfberg
14.–24. Mai 2021
Theaterensemble Nesterval – St. Peter
Text und Interview: Therea Gindelstrasser
Im verwinkelten Gelände zwischen Schiessentobel und Teufelsgraben, im Wald, am Steinkreis, jedenfalls mit Ausblick auf den Dachstein, lädt das Theaterensemble Nesterval nach „Sankt Peter“ ein. Genauer: Ins Jahr 1964 und zu einer Hochzeitsfeier. Das Publikum, also die Hochzeitsgäste, wird Teil eines dreistündigen partizipativen Abenteuers, erlebt Tänze und Gesänge, sammelt Hinweise und erforscht Zusammenhänge.
Denn: Ein Selbstmord verunmöglicht das fröhliche Fest.
Im Rahmen des Supergau Festivals verlegt Nesterval die Produktion „Das Dorf“, 2019 für einen Nestroy- Theaterpreis nominiert, an die frische Luft. Die Premiere in Wien fand im Keller eines Heurigen statt, damals, als es noch Gedränge in geschlossenen Räumen gab. Nachdem Nesterval stets auf die Gegebenheiten vor Ort eingeht beziehungsweise von diesen ausgehend fiktionale Welten baut, ist so ein Transport von „Das Dorf“ nach „Sankt Peter“ etwas Besonderes.
„Die Produktion war eigentlich immer schon wie für Salzburg gemacht“, erklärt Martin Finnland, zuständig für Konzept und Regie, außerdem im Pinzgau aufgewachsen.
Im Rückgriff auf „Krambambuli“, einer 1883 veröffentlichten Erzählung von Marie von Ebner-Eschenbach, und „Anna-Liisa“, eines 1895 uraufgeführten Theaterstücks von Minna Canth, porträtiert Nesterval mit dieser Produktion eine Dorfgemeinschaft, in der Nähe immer auch Enge und Veränderung immer auch Bedrohung heißt.
2011 gegründet, blickt Nesterval mittlerweile auf eine über 15 Produktionen umfassende Geschichte zurück. „Entstanden sind wir aus einem Freundeskreis“, erzählt Teresa Löfberg, zuständig für Dramaturgie und Text.
Und familiär wirken diese Theaterabende tatsächlich sehr. Zum ersten hat Nesterval ein Spiel-erfahrendes Stammpublikum aufgebaut, was zu stets restlos ausverkauften Veranstaltungen führt. Zum zweiten besteht Nesterval aus einem Kernensemble von 23 Performer*innen, das zwar bei Bedarf um Gäste erweitert wird, das in der Kontinuität jedenfalls für hohen Wiedererkennungswert sorgt. Denn, also zum dritten, bei Nesterval gibt es ein über die einzelnen Arbeiten hinaus gehendes Meta-Narrativ: Familie Nesterval sei eine aus niederländischem Adel hervorgegangene Dynastie, deren Vermögen auf einer im 19. Jahrhundert in Salzburg gegründeten Porzellanmanufaktur beruht. Jedes Nesterval Abenteuer ist in diesem Universum situiert und verfolgt Geschehnisse rund um ein Familienmitglied im Speziellen.
Oft verbindet Nesterval Klassiker der Literaturgeschichte mit popkulturellen Referenzen. Immer ist es die spezielle Verbindung von immersivem Theater und Urban Gaming, die diese Theaterabenteuer auszeichnet. Das Publikum tritt in Kontakt mit den Performer*innen und erschließt sich selbst die Geschichte.
Gemeinschaftliches Rätseln und Entdecken sorgt für Suspense. Dabei entwerfen Finnland und Löfberg ein Grundkonzept, das im Prozess von den Beteiligten ausgearbeitet wird, die mit ihrer Rollengestaltung spontan auf Situationen reagieren können. Somit geht es Nesterval um die Herstellung einer gemeinsamen Spiel-Situation zwischen Publikum und Beteiligten und nicht nur um das Darstellen einer Geschichte. Als 2020 „Der Kreisky Test“, schlußendlich in 57 Städten gezeigt und mit einem Nestroy ausgezeichnet, eine Woche vor Premiere ins Internet auswandern musste, kam Nesterval dieses dramaturgische und spieltheoretische Know-How sehr zupass.
Was bedeutet die Teilnahme am supergau Festival für euch?
Herr Finnland: Wir freuen uns total! Wir sind so auf Entzug. Es ist unsere erste Produktion seit Beginn der Pandemie, die tatsächlich mit einem Live Publikum vor Ort statt finden wird. Zudem unser erstes großes Gastspiel in Salzburg.
Frau Löfberg: Wir sind optimistisch, dass unser Theater unter Corona Bedingungen funktionieren wird. Auch wenn sich die Bestimmungen kurzfristig ändern sollten, sind wir vorbereitet, darauf reagieren zu können.
Was möchtet ihr eurem Publikum für die Teilnahme an „Sankt Peter“ mitgeben?
Frau Löfberg: Niemand kann jede der parallel statt findenden Szenen sehen, jeden Strang verfolgen.
Alle werden verschiedene Geschichten erleben. Aber vielleicht lässt sich durch das Gespräch in der Gruppe ein größeres Bild zusammen setzen. Dieses Gemeinschaftserlebnis zu ermöglichen, das interessiert uns.
Herr Finnland: Mut zur Lücke! Denn es muss nicht alles verstanden werden. Das Publikum kann sich reinschmeißen in die Geschichte oder sie aus sicherer Distanz verfolgen, es ist alles möglich. Wir wollen niemanden alleine lassen in diesem Erlebnis, das Ensemble achtet stets auf diesbezügliche Signale und nach Ende der Veranstaltung sind wir für alle Gespräche offen.
Nesterval in a nutshell – was wäre das?
Frau Löfberg: Theater, bei dem ich vielmehr als sonst, vielmehr als nur in einem Sessel sitzend, ins Geschehen involviert bin und also viel intensiver mit der Frage nach meiner eigenen Beteiligung und meinem tatsächlichen Befinden konfrontiert bin.
Herr Finnland: Wenn Kinder sich in einen Pappkarton setzen und Rakete spielen. Und der Pappkarton dann wirklich eine Rakete ist. So ist Nesterval!