Salzburger Land

Supergau – Wer bewegt hier eigentlich wen?

Wer bewegt hier eigentlich wen?

Tina Heine (Festivalleitung)

 

Sie fragen mich, was Supergau ist?

Sie fragen mich, ob das Land ernsthaft Geld für sowas ausgibt?

Sie fragen, warum man menschliche Rinder die Alm heruntertreibt, Wald und Wiesen vors Gericht zerrt, Schrottautos zu Kunst erklärt, warum man 100 Lichtröhren in einen Heuballen umwandelt oder mit Uttendorfer*innen ins Gespräch kommen will?

Fangen wir mit dem letzten an und hören wir damit dann auch  wieder auf: dem Gespräch. Kunst ist eine Einladung zur Kommunikation, sie ist Selbstgespräch oder Begegnung, findet in Filterblasen statt und bringt sie zum Platzen.

Das „Bewegte Wirtshaus“ – Begegnung und Austausch als Essenz

Am Sonntag fand das „Bewegte Wirtshaus“ in Uttendorf statt, vor dem Projekt „Wohnoase“. Es regnete und wir durften bei einem Nachbarn im Carport Unterschlupf finden und dort den Tisch decken – und der war schnell gefüllt und es saßen unterschiedliche Leute dran. Wir haben das Gespräch angeleitet zum Thema „Unterirdisch Wohnen“ und Zukunftsängste. Und dann sagt jemand irgendwann: „Ja, und wer zahlt das jetzt alles? Für die Kunst, ach, da ist also noch Geld für da.“ Und da habe ich gesagt: Ja, aber wenn es dafür nicht mehr da wäre, wofür machen wir dann ALLES? Ja, das ist doch Kunst. Das ist Kommunikation. Dass wir hier sitzen. Nachbarn, die sich zwar vom Sehen aus dem Ort kennen, kommen ins Gespräch – auf diesem neutralen Boden, dieser Plattform, auf man einfach mal anders reden kann. Wir begegnen und, wir erfahren voneinander, ich erzähle, und du erzählst mir von hier, und wir machen uns gemeinsam Gedanken über die Zukunft, und das Gespräch verändert uns.

Ich habe seit 30 Jahren eine Gastronomie, ich weiß, was ich für Situationen schaffen muss, damit wirklich Gespräche entstehen. Das ist dieses „Setz dich dazu“, „Komm doch mal her“, und ein bisschen kann man Themen anstiften und danach muss man das loslassen. Ja, wir reden übers Wohnen oder wir reden über die Rechte der Natur. Oder wir reden über die Rolle der Frauen oder wir reden darüber, was das Ganze eigentlich soll. Oder wir reden am Ende darüber, was bleibt. Und dann wird noch eine Kelle Suppe nachgeschenkt.

Es wird eingeladen, es gibt eine Uhrzeit, jeder kann kommen, man muss sich nicht anmelden und dann bewegt sich das Wirtshaus von einem Ort zum anderen. Etwas bewegt sich und es bewegt uns. Ich koche, das letzte Mal gab es eine pikante Linsen-Tomatensuppe und ein bisschen ist mir das Chili ausgerutscht und ich musste es mit Kokosmilch abmildern, aber eine leichte Schärfe tut ja auch jedem Gespräch ganz gut. Für ein, zwei Stunden sind wir eine Tischgesellschaft. Dann falten wir die Möbel wieder zusammen und gehen zurück in den SuperKiosk oder wandern zu einem der Projekte.

Der Stammtisch ist auch ein Herantasten. Können wir die Momente der Fremdheit überbrücken? Ich bin da auch nicht statisch mit den Themen, wenn was anderes entsteht. Dann geht man damit um.

Und ja, für mich ist das ist die Essenz. Es ist die Begegnung, eine Form des Austauschs zu finden. Auch die Begegnung mit mir selbst. Und für mich ist es auch diese Freiheit, die ich in diesem Festival spüre, sie steckt in dieser einzigartigen Förderung vom Land Salzburg, in diesem Prozess, in diesem „Du darfst“: Du darfst dir Zeit nehmen, du darfst fragen, du darfst sozusagen forschend arbeiten und forschend Besucher*in sein, du darfst unter guten Bedingungen und in Gemeinschaft als Künstler*in produzieren.

Es ist explizit gewünscht, dass du dir Zeit nimmst, dass du dir Raum nimmst, dass du die Begegnung suchst, dass du sitzen bleibst, dass du mit den Leuten vor Ort und den anderen redest, dass du diskutierst oder einfach nur gemeinsam staunst.

Es ist auch okay, einen Blick von außen auf irgendwas zu haben, wo die Leute vor Ort sagen: „Das haben wir ja schon das zehnte Mal gehört. Das Thema ist schon durchgekaut.“ Also Thema verfehlt. Ja, auch das ist ok, wir dürfen uns auch irren.

Die ersten fragen schon „Bleibt ihr? Wollt ihr nicht bleiben?“

Ab wann hat es Gewicht? Und ist Supergau mehr als diese zehn Tage? Ist das nicht dieses eine Jahr der intensiven Vorbereitung und Auseinandersetzung? Jetzt im Sein trägt das Festival schon den Abschiedsschmerz ein bisschen mit sich. Vorher ist es „nur noch drei Tage, dann geht es los“ und jetzt sagen wir „oh, nur noch acht Tage, dann ist schon vorbei“.

Wir haben schon Stammbesucher, die machen jede Tour mit und sind überall dabei – es ist jetzt schon Beziehung.

Es ist wirkliche Begegnung, es ist Beziehung, es ist miteinander stehen, miteinander reden. Auch das Nicht-Verstehen. Auch das Wegdrehen ist Kommunikation.

Und ich habe so ein echt großes Gefühl von Dankbarkeit für diese Möglichkeit, für dieses Wagnis, dass das Land Salzburg vor ein paar Jahren eingegangen ist, trotz aller Kritik. Nicht ohne Grund haben wir unsere kleinen Sticker: „Ist das temporär oder permanent?“ Es braucht auch das, was wieder geht, und es ist auch mal okay, wenn nichts bleibt. Also im Sinne von: Dass Kunstwerke stehen bleiben. Wir wollen aus dem Verwertungs- und Quantifizierungsmodus raus. Wir wollen in den Beziehungsmodus kommen und nicht nur „Ich“ sagen, sondern „Wir“.

Entscheidend ist, dass du die, mit denen du in eine gute Resonanz kommst, zu Multiplikatoren machst. Ich sage immer zu denen, die da sind: Bring deine Freunde mit, erzähl weiter, nimm sie mit, sag, was du gesehen hast. Sag, was du gefühlt hast. Es ist wertvoll, dass du, obwohl du nicht wusstest, was es genau ist, dennoch gekommen bist. Das ist wertvoll. Das ist schön. Und ich bedanke mich, dass du gekommen bist.

Es ist nicht nur schön, dass wir dir das herstellen, sondern es ist auch schön, dass du gekommen bist.

Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, mir wäre es egal, ob nur zehn Leute kommen oder 1000. Ich freue mich, wenn viele, viele Leute kommen – weil es so tolle Arbeiten sind. Wenn es abends in Strömen regnet und bei den Lichtinstallationen, die zehn Stunden aufgebaut wurden, sind 50 Leute da, dann wünsche ich mir, es werden jetzt 200, weil es einfach so schön ist und ich möchte, dass sie das sehen. Aber ich weiß schon, dass auch ein Verhältnis 50 in der Region ungefähr so viel ist, als würden zur Eröffnung in einem Museum in der Stadt 2500 Leute kommen.

Zahlen sind schön, aber ich finde es einfach nur schade für die, die zu Hause sitzen geblieben sind.

Supergau ist Gemeinschaftsarbeit

Ein Erfolg ist für mich, wenn sich die Künstler*innen wohlfühlen. Wenn wir geschafft haben, einen Teppich zu bereiten, auf dem sie sich getragen fühlen, dass sie gute Arbeitsbedingungen vorfinden für das, was sie machen, dass sie weiterarbeiten können an ihren Themen, dass dieser Supergau ein wichtiger Schritt oder ein Meilenstein in ihrer Arbeit als Künstler*in ist, auf den sie gern zurückschauen, wo sie sagen: Das war eine Erfahrung, die war für mich auch neu, quasi ein Jahr lang in so einer Art Community mit gegenseitiger Unterstützung zu arbeiten.

Der Supergau ist wirklich eine Gemeinschaftsarbeit. Schon in dieser intensiven Auseinandersetzung von Seiten der Jury, dann aber auch in diesen langen Residenzphasen vor Ort, dieser Arbeitszeit, auch mit den Künstlern und Künstlerinnen gemeinsam. In Hinblick auf Dramaturgie, Mobilität, Vermittlungen, Rahmenprogramm, wie wollen wir das alles machen? Da denken ja alle mit dazu und dazu animiere ich sie auch explizit. Das ist mein kuratorisches Verständnis. Ich arbeite auch bei meinen anderen Festivals so, dass ich mich eher als Plattformgeberin verstehe auf der wir uns alle einbringen können und in ein gemeinsames Schaffen kommen. Das ist enorm schöpferisch. Ich möchte mich nicht auf mein eigenes Wissen verlassen- möchte weiterlernen, weiterwachsen, mit den anderen und mit unseren Besucher*innen. Und wenn was bleibt, dann ist das schön – auch wenn es vielleicht nicht sichtbar ist. Das haben wir im Flachgau und im Lungau gelernt.

Auch jetzt im Pinzgau: Ich habe schon in den ersten Tagen ein paar Gespräche gehabt, die ich für mich in meine „Tasche der Erinnerung“, im übertragenen Sinn, packe.

Weitererzählen und Zitate hinterlassen

Es ist ein Gefühl der Belohnung, wenn es losgeht: Jetzt ist es so weit, jetzt können wir, jetzt dürfen wir, jetzt wird das Gesagte, Geschriebene, Gedachte Realität. Und es stößt in der Realität vielleicht auch auf Widerstände, wie widriges Wetter. Aber es ist spürbar, das Gefühl der Gemeinschaft, der gegenseitigen Hilfe. Das Team wird von Künstler*innen unterstützt, die schon letztes Jahr dabei waren, die jetzt die Superbar schmeißen.

Man möchte weitererzählen, man möchte in Verbindung bleiben. Irgendwie ist schon jetzt eine Gemeinschaft über die letzten Ausgaben hinaus entstanden. Die Produktion ist einfach toll, alle kümmern sich so gut umeinander und sorgen auch füreinander und sagen auch: „Geh mal jetzt ins Bett, ich mach das jetzt.“

Unsere Superbar-Möbel im Infokiosk, aber auch an diversen anderen Positionen, erkennbar am orangen Signet, die schon durch alle Supergaue gewandert sind, haben einen Wiedererkennungswert, eine unheimlich schöne Ästhetik, und es gibt schon die ersten Fragen, sag, was macht ihr eigentlich hinterher mit den Möbeln? Da musste ich schmunzeln, weil ein Teil unserer Möbel ja auch schon im Lungau verblieben ist.

Kleine Zitate hinterlassen wir schon - teilweise in Form von Möbeln, aber hoffentlich auch in Form von Erinnerungen und Gesprächen.

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