Maria Kanzler und Fabian Ritzi – Belvedere Flachgau
Text: Claus Friede
Kanzler Ritzi ist keine politische Berufsbezeichnung, sondern ein 90er-Jahre-Duo von Gestaltungsschaffenden, die zwischen Design, Architektur und Kunst oszillieren und erstmalig zusammenarbeiten. Für das Kunstfestival „Supergau“ setzen die beiden ein Projekt um, das sich „Belvedere Flachgau“ nennt.
BSW versus BBW – Bad Mitterndorf-Shanghai-Wien trifft Bern-Basel-Wien.
Ausbildung zur Kommunikations- und Social Designerin mit Führerscheinklassen B und F. Ausbildung zum Postindustrial Social Designer mit Führerscheinklassen A1 und B.
Auch diese Eignungen zum Führen von Kraftfahrzeugen brauchen ihre Gestaltung – insbesondere, wenn man in einer Flachgau-Gemeinde namens Strobl am Wolfgangsee einen Boxen-Stopp an einer Tankstelle einlegen möchte oder muss. Aber mehr dazu später…
In Wien im Social Design Studio an der Universität für Angewandte Kunst treffen sie aufeinander. Maria Kanzler hat bereits in Wien und Villach ausgestellt – Fabian Ritzi in Venedig, London und Riehen. ‚Geschichten visuell erzählen‘ trifft auf ‚Dinge im Raum erleben‘. Was sie eint ist die Faszination und das Interesse für den Freiraum – oben. Aus einer spontanen Idee, die zur Haltung und Forderung wird, folgt unter dem Titel „Allen Alle Terrassen“ die Einreichung und Auswahl zum „Supergau“.
Hello-Sagen und den bisherigen Projekten folgen kann man unter https://mariakanzler.com und https://raeuberundstehler.com. Nach all den Stationen und Andeutungen, die auf den Websites nachzulesen sind, müssen Kanzler und Ritzi trotz baulicher Vorschriften nun endlich einmal hoch hinaus und ihr „Belvedere Flachgau“ umsetzen!
Tanken, Reifen aufpumpen, Waschen und Föhnen, Kaffee to go, Klettern, Steigen, Schauen und Genießen – auch in anderer Reihenfolge möglich.
Nachgefragt und kommentiert…
Der Flachgau umzingelt Salzburg
Wie findet man eine urbane Tankstelle auf dem Land, die da mitmacht?
Na, ein Führerschein ist wichtig, denn wer Tankstellen finden will, muss fahren und dann anfragen – viel anfragen. Maria ist aus der Gegend (bzw. nicht weit entfernt aufgewachsen) – wohnt zwar schon etwas länger in Wien, aber manchmal kann auch der lokale Dialekt helfen. Beim Fragen stellt es sich dann heraus, ob die Chemie stimmt und wer wirklich in der Lage ist ‚ja‘ zu sagen. Denn es muss beim Fragen jemand gefunden werden, der wirklich in der Lage ist, ‚ja‘ sagen zu können, und der dann auch den Weitblick besitzt, ja sagen zu wollen, und das dann auch tut. Bei vielen der Tankstellen sind wir gar nicht erst bis zu der entscheidenden Person durchgedrungen, die in der Lage gewesen wäre, ‚ja‘ oder ‚nein‘ sagen zu können.
In Strobl war das dann aber zum Glück ganz anders und sehr einfach, denn dem Bernhard Resch gehört die Tankstelle und er war schnell für die Idee zu begeistern.
„Wer Weite entdecken will, muss sie in sich tragen“ (Ella Maillard) oder Belvedere – die schöne Aussicht
Für einen göttlich-erhabenen Blick auf Weite?
Glücklich ist, wer Weite in sich trägt und sie sich auch leisten kann. Gondelbahntickets sind teuer, Dachgeschosswohnungen auch und zum Wandern braucht es Zeit und Muße. Unser „Belvedere“ stellt da weniger Ansprüche und verschafft einen Augenblick der Weite an einem Ort, an dem niemand ihn erwartet. ‚Quick and dirty‘, Perspektivenwechsel an der Tanke – immer anders, je nachdem wo einem der Kopf gerade steht. Eine Blick für Erleuchtungsmomente, aber auch nur für einen Kaffee, mit Wind in den Haaren. Denn es gibt ja eigentlich nichts zu sehen – umso wichtiger, dass man hinsieht.
Hoch hinaus zum Babylonischen Aussichtsgewitter
Ländliches Lustspiel in einem Volkswagen-familienfreundlichen Umfeld?
In jedem Dorf gibt es diese Zwischenräume, in denen die Wiesen und Wälder zwar aufhören, aber das Dorf noch nicht anfängt. Es ist die Welt der Parkflächen, Malerwerkstätten, Holzsägewerke, Einkaufsläden und Tankstellen. Es sind Orte die oft als tot und kalt bezeichnet werden, wo die Menschen nur kurz vorbeikommen. Aber sie kommen vorbei! Und auch wenn sie vor allem nicht wegen der Kunst da sind, holen wir sie ab. Das mit dem Regen im Salzkammergut ist außerdem auch so eine Glückssache. Hier empfehlen wir bei wolkigen Aussichten einfach einen Schirm mitzubringen.
Nicht nur 3641 Einwohner der Gemeinde Strobl tanken am Wolfgangsee
Zwischen Forsthaus und Gutshof gelegen: ENI – Eine Nie-da-gewesene Irritation?
Das stimmt schon, was für eine Vergeudung: Ein Gerüst und es wird nichts gebaut. Aber wenn was gebaut werden würde, dürfte man nicht hinauf. Deshalb wird nichts gebaut und man darf hoch. So einfach ist das! Am Ende nutzen wir unsere Rolle als Künstler*Innen ja auch, um uns und anderen zu ermöglichen, auf das Dach zu kommen und spielen dabei mit der Irritation der BesucherInnen. Die müssen nämlich den Balanceakt antreten und sich die Frage stellen: darf ich hier rauf oder nicht? Darauf folgt dann hoffentlich die kindliche Freude, die man spürt, wenn man einen Ort entdeckt und erklimmt, an den man sonst nicht darf.
Architektonische Intervention, partizipativ, aber barriereunfrei
Gibt es eine alternative Zielführung?
Ja schon. Ausgangspunkt unserer Projektidee war auch die des offenen Zugangs zum Raum oben. Wir werden uns also auch weiterhin bemühen, so viel Aussicht wie möglich für so viele Menschen wie möglich zugänglich zu machen. Manchmal müssen wir uns dabei den äußeren Umständen beugen aber wir bleiben dran: Allen Alle Terrassen!
…und abschließend „einmal volltanken bitte“!
Text von Claus Friede