Salzburger Land

„Kafka der Bauern“ – ein Austausch zu Franz Innerhofer

Buchcover des Romans "Schöne Tage" von Franz Innerhofer und ein Schwarz-Weiß-Porträtfoto des Autors

Titelfoto: Cover von „Schöne Tage“, Residenzverlag; Porträt des Autors, (c) Residenz Verlag/Angelika Kampfer

„Kafka der Bauern“

Ein Austausch von Erwin Einzinger und Christina Maria Landerl über das Werk des Pinzgauer Schriftstellers Franz Innerhofer 

Franz Innerhofer wurde 1944 in Krimml im Oberpinzgau geboren. Als Kind und Jugendlicher war er elf Jahre lang Knecht auf dem Bauernhof seines Vaters in Uttendorf. Danach absolvierte er eine Lehre, machte die Abendmatura und studierte Germanistik und Anglistik an der Universität Salzburg. Ab 1973 lebte er als freier Schriftsteller. Sein autobiographischer Roman „Schöne Tage“ erschien 1974 im Residenz Verlag und machte den Autor sehr bekannt. Der Roman gilt als ein wichtiges Beispiel für „literarischen Realismus“, ist Schullektüre in Österreich und wurde verfilmt. Zu Innerhofers weiteren Werken gehören z.B. „Schattseite“ und „Die großen Wörter“. Ab 1980 lebte Franz Innerhofer in Graz, wo er sich 2002 das Leben nahm.

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Liebe Christina,



hier also ein kurzer Abriß meiner persönlichen Beziehung zu Franz Innerhofer. Ich habe ihn bereits gekannt, als noch keines seiner Bücher erschienen war, weil wir beide in Salzburg studiert haben. Franz war zwar neun Jahre älter als ich, aber sein Weg an die Uni hat via Schlosserlehre und Abendmatura länger gedauert, sodaß wir beispielsweise beide bei der wöchentlichen Hauptvorlesung zur englischen Literatur im großen Hörsaal waren, wo er einmal unseren Ordinarius Stürzl – der Name taucht später auch in „Die großen Wörter“ auf – vor versammelter Hörerschaft wütend attackiert hat, was alle verblüffte. Außerdem stand er in der Mensa im Wolf-Dietrich-Heim immer an der Kassa, also kannte ich ihn auch von dort. Und dann war eines seiner Lieblingslokale das Weingartl, das wiederum nur einen Steinwurf vom Studentenheim Schwarzes Rössl entfernt war, wo ich wohnte.



Als bekannt wurde, daß er einen Roman geschrieben habe, hat mich das zunächst nicht besonders interessiert, weil viele, die damals Germanistik studierten, geschrieben haben. Doch als ich nach dem ungeheuren Erfolg von „Schöne Tage“ selber endlich das Buch gelesen habe, hat es mich zutiefst beeindruckt.



1983 ist dann mein erstes Prosabuch ebenfalls im Residenz Verlag erschienen, so wie die Bücher von Franz, aber zu dem Zeitpunkt lebte er bereits nicht mehr in Salzburg. Wir haben uns Jahre später noch einmal in Graz getroffen, und einmal war er bei uns zu Hause in Micheldorf und las tags darauf in einer meiner Deutschklassen am Gymnasium Kirchdorf, wo ich unterrichtet habe.



Bin gespannt auf Deinen ersten Bericht und schicke Grüße nach Berlin, herzlich: Erwin

Lieber Erwin,

danke für deine Mail und deine Erinnerungen an Franz Innerhofer!

Dass er in einer deiner Schulklassen in Kirchdorf gelesen hat, passt gut zu meiner Erinnerung an seine Bücher: „Schöne Tage“ war nämlich in dem Gymnasium in Steyr, das ich in den 90ern besuchte, Schullektüre.

Ich weiß noch: Ich fand das Buch altmodisch und es war mir unangenehm damals. Vielleicht habe ich mich innerlich gleich abgrenzen müssen, denn manches, was darin vorkam, erinnerte mich zu sehr an die Erzählungen meiner Großmutter oder meines Vaters. Aufwachsend in einem alten, schon vor meiner Geburt nicht mehr bewirtschafteten Vierkanthof, wollte ich dringend weg von allem Bäuerlichen und interessierte mich für alles, was mir und meiner Familie fremd war.

Erst vor wenigen Jahre – mittlerweile lebte ich schon lange in Berlin – begann ich, Verwandte über ihr Aufwachsen im bäuerlichen Milieu zu befragen. Gleichzeitig waren Herkunft und Klasse mit einem Mal die großen Themen in der Gegenwartsliteratur geworden; und so erinnerte ich mich an Franz Innerhofers „Schöne Tage“, jetzt ganz neugierig auf seine Texte.

Jetzt, wo ich das Buch wieder lese, scheint es mir hochaktuell und erwischt mich, auch sprachlich, auf jeder Seite. „Die Großen Wörter“ und „Schattseite“ werde ich auch gleich noch lesen. Die Titel gefallen mir übrigens alle sehr gut.

Welches Buch hat dich am meisten beeindruckt?

Liebe Grüße nach Micheldorf,

Christina

"Jetzt, wo ich das Buch wieder lese, scheint es mir hochaktuell und erwischt mich, auch sprachlich, auf jeder Seite."

Liebe Christina,

nun, das kann ich gut nachvollziehen, auch wenn bei mir die Sache natürlich anders war. Mich hat dann nach „Schöne Tage“ jedes weitere Buch allein schon deshalb so interessiert, weil ich den Autor eben gekannt habe und seine riesige Erfolgsgeschichte ihn zu einem Literaturstar gemacht hat. Ich kann mich erinnern, daß er mit Recht sehr stolz war, nachdem eine der großen französischen Zeitungen ihn als den „Kafka der Bauern“ bezeichnet hat. Und dann in „Die großen Wörter“ vieles zu lesen, was ganz direkt auf seine Zeit als Salzburger Student Bezug genommen hat, fand ich höchst aufschlußreich. Daß die Hoffnungen, die er in die Welt der Wörter gesetzt hatte, letztlich enttäuscht wurden, hat er ebenfalls mit aller Schärfe herausgearbeitet.

Schlimm war allerdings, wie sehr die Kritik bald danach über ihn hergefallen ist. Den letzten Roman („Um die Wette leben“), der ganz besonders verrissen worden ist, habe ich durchaus als eine leichtfüßige und ironische Auseinandersetzung mit dem literarischen Betrieb aufgefasst. Ich las ihn während eines Rom-Stipendiums, und aus Orvieto, seinem bevorzugten Flucht- und Schreibort, schrieb ich ihm damals eine Karte nach Graz, wo es ihm bereits nicht mehr wirklich gut ging und er nicht nur mit dem Literaturbetrieb genug Probleme hatte.

Imponiert hat mir schon früh, wie belesen und ernsthaft an der Entwicklung seiner Prosa Franz stets interessiert gewesen ist. Er hat sich intensiv auch mit Proust, Joyce und anderen Kalibern beschäftigt, und in der Gruppe Transamazonika, von der ich zwei weitere Mitglieder schon früh kennengelernt hatte, war er der wohl einzige, der das als eine ernsthafte Möglichkeit zum Zweck der literarischen Kommunikation betrachtet hat und nicht bloß als einen halb scherzhaften Gag gegen den üblichen Literaturzirkus.

Es gäbe noch einiges zu den bedauerlichen Entwicklungen trotz des immensen Erfolgs im Leben von Franz zu berichten, aber nun bist wieder Du am Wort.

Herzlich: Erwin

"Imponiert hat mir schon früh, wie belesen und ernsthaft an der Entwicklung seiner Prosa Franz stets interessiert gewesen ist."

Lieber Erwin,

was du schreibst – über den Menschen Franz Innerhofer und sein Leben – macht die Lektüre seiner Bücher noch bedrückender, aber auch noch beeindruckender für mich.

Dass mich „Schöne Tage“ damals, als Jugendliche, nicht erreicht hat, kann ich gar nicht mehr verstehen. Als ich es jetzt, tatsächlich in meinem bäuerlichen Elternhaus in der Hängematte liegend, ausgelesen habe, war ich sehr traurig. So viele traurige Leben hat Innerhofer darin festgehalten, auch sein eigenes; ohne die Menschen, auch nicht sich, dabei bloßzustellen. Ich habe natürlich auch an die Menschen und Kinder gedacht, die in dem Haus, in dem ich heute oft schöne, freie Tage verbringe, geschuftet haben und misshandelt wurden.

Sprachlich ist das natürlich hart, aber auch poetisch. „Kafka der Bauern“, das gefällt mir irgendwie. Schließlich spürt man gleich, dass hier einer schreibt, der nicht nur fast Unbeschreibliches zu erzählen hat, sondern auch viel will; der sich mit literarischen Techniken, auch Experimenten auseinandergesetzt hat und ein ungeheures sprachliches Talent hat. Es ist traurig, dass sein literarischer „Aufstieg“ nicht von Dauer und der Literaturbetrieb so grausam zu ihm war.

Ich kenne eigentlich gar nichts Vergleichbares. Fällt dir etwas ein, wo du Ähnlichkeiten siehst? Mittlerweile bin ich schon auf der „Schattseite“ gelandet – und wieder auf dem Weg nach Berlin.

Bis bald!

Christina

"Schließlich spürt man gleich, dass hier einer schreibt, der nicht nur fast Unbeschreibliches zu erzählen hat, sondern auch viel will;"

Liebe Christina,

um auf Deine Frage einzugehen: Reinhard Kaiser-Mühlecker ist auf jeden Fall einer, der auf hohem Niveau die bäuerliche Welt immer wieder zum Thema macht, wenn auch auf ganz andere Weise.

Zum Schluß bleibt mir nur die traurige Einsicht, daß Franz Innerhofer leider seinem Leben in seiner Wohnung in der Idlhofgasse in Graz ein Ende gesetzt hat, von wo er sogar auf den Steinfeldfriedhof hinübersehen konnte, wo nun sein Grabstein steht. Und ich würde mir wünschen, daß seine Bücher auch heute noch eine Rolle spielen.

Wir sehen uns demnächst in Linz!

Alles Gute, herzlich: Erwin

"Und ich würde mir wünschen, daß seine Bücher auch heute noch eine Rolle spielen."

Lieber Erwin,

dass das Dunkle und die Suizidgedanken, die in Innerhofers Büchern von Anfang an so stark mitschwingen, am Ende die Oberhand gewonnen haben, ist tragisch.

Dennoch finde ich heute in „Schöne Tage“ oder „Schattseite“ immer wieder positive Momente und Lichtgestalten wie Helga oder Helene, die dem jungen Holl helfen, sich und seine Rechte zu stärken.

Abschließend kann ich vielleicht noch erwähnen: Als ich auf Instagram einen Post über Innerhofer gemacht habe, als ich anderen Schreibenden erzählte, dass ich mich gerade mit ihm und seinem Werk beschäftige, gab es viele Rückmeldungen: Unvergesslich, beeindruckend, umhauend – so sind Innerhofers Texte einigen in Erinnerung.

Bis bald! Danke für den interessanten Austausch!

Christina

"Unvergesslich, beeindruckend, umhauend - so sind Innerhofers Texte einigen in Erinnerung."

Erwin Einzinger, geb. 1953 in Kirchdorf, lebt als Schriftsteller und Übersetzer in Micheldorf. Jüngste Veröffentlichungen: Ein kirgisischer Western (Roman, 2015), Herbstsonate. Ein Langgedicht (zusammen mit Hans Eichhorn, 2016, Edition Sommerfrische), Das Wildschwein. (Arabesken, 2018), Ein Rucksack voller Steigeisen (2023, Jung und Jung Verlag), Aus dem Zuckerlautomat am Marktplatz kam ein Kaugummi-Koalabär (Gedichte, 2025, Jung und Jung Verlag). Rauriser Literaturpreis 1984, manuskripte-Preis des Landes Steiermark 1994, OÖ. Landeskulturpreis 2002, Mondseer Lyrikpreis 2008, H. C. Artmann-Preis 2010, Georg-Trakl-Preis 2024.

Christina Maria Landerl, 1979 in Steyr geboren, wuchs auf dem oberösterreichischen Land auf. Ab 2007 studierte sie Literarisches Schreiben am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig, wo sie 2011 mit ihrem vielbeachteten Debüt „Verlass die Stadt“ (Schöffling & Co.) abschloss. Landerl veröffentlichte mehrere Romane; im Frühjahr 2025 erschien „Das Buch Helga“ (müry salzmann), in dem sie die Lebensgeschichte ihrer früh verstorbenen Mutter nachzuzeichnen versucht. Sie lebt in Berlin.
https://www.christinamarialanderl.com

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Dem Oberpinzgau literarisch begegnen

Anbandeln: Text(il)künstlerisches Partizipationsprojekt in Uttendorf: Mittels des schon von den Kelten praktizierten Brettchenwebens entsteht ein fortlaufendes Wollband, das von den Uttendorfer:innen begonnen wurde und von den Supergau-Besucher:innen weitergewebt wird. Dafür sind keine Vorkenntnisse erforderlich, die Künstlerinnen sind vor Ort. Die Begegnungen, die während des Webens – dem gemeinsamen ‚anbandeln‘ – entstehen, sind Ausgangspunkt für literarische Texte, die im Uttendorfer Außenraum als Plakate sichtbar sind. Marlen Mairhofer und Katharina J. Ferner haben ihre Erfahrungen auch in Texten für das Supermag zusammengefasst.

 

Seit 2019 veranstaltet der Verein Tauriska das Festival „Literatur findet Land„. Heinz Bayer hat die Initiator*innen Christian Vötter und Susanna Vötter-Dankl im Beitrag „Das menschliche Maß als Navigator“ für das Supermag porträtiert.

 

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Sie fragen mich, was Supergau ist?
Sie fragen mich, ob das Land ernsthaft Geld für sowas ausgibt?
Sie fragen, warum man menschliche Rinder die Alm heruntertreibt, Wald und Wiesen vors Gericht zerrt, Schrottautos zu Kunst erklärt, warum man 100 Lichtröhren in einen Heuballen umwandelt oder mit Uttendorfer*innen ins Gespräch kommen will?
Fangen wir mit dem letzten an und hören wir damit dann auch wieder auf: dem Gespräch.

Migration and Invasion; from Madurese to Roman; at the range of the Hillocks dan Alpine Mountains

Autor: Abi Muhammad Latif (Foolish Land Clearers)
Englsiche Übersetzung: Inez Gerard

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