Bernhard Müller im Gespräch mit Nathalie Gantner
Nathalie Gantner: Leiterin der Bildnerischen Werkstatt am BORG Mittersill, stellt Design unter dem Label ALMKUNST.at her, geboren 1975 im Pinzgau, lebt in Neukirchen am Großvenediger.
Wie war Dein persönlicher Werdegang?
Ich bin aus Neukirchen am Großvenediger, hier geboren und aufgewachsen, bin in Mittersill in das Gymnasium gegangen und mit 18 Jahren nach Salzburg. Hab dann am Mozarteum zum Studieren angefangen, Bildnerische Erziehung und hab 10 Jahre „draußen“ gewohnt, das war total schön. Ich hab mir das Studium selbst finanziert und sämtliche Jobs gemacht, die sich mir angeboten haben, einmal bin ich sogar als Osterhase beim KIKA für die Kinder aufgetreten oder Fußmattenvertreterin war ich auch.
Sieben Jahre bin ich dann im Schlachthof gewesen und habe das AMA-Gütesiegel kontrolliert. Meine Eltern hatten einen Reitstall und da hab ich auch in den Ferien und am Wochenende mitgearbeitet. Dann war ich fertig mit dem Studium und damals hat es geheißen, dass es für Lehrer keine Jobs gibt, aber ich hab Glück gehabt und hab in Zell am See eine Stelle bekommen. Vor 15 Jahren bin ich nach Mittersill an das BORG gewechselt.
Was hat Dich in Deiner Jugend in Neukirchen als Mensch geprägt?
Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen komisch, aber ich wollte als Kind immer meine Ruhe haben. Ich war drei Tage im Kindergarten und ich hab drei Tage so geschrien, weil mir das alles zu laut war, dass ich meiner Mama so leid getan hab, dass ich nicht mehr hingehen musste. Ich hab es gerne ruhig, fahre aber auch gerne in die Stadt und schau mir Ausstellungen an, in Salzburg, in Wien, in Berlin hab ich mir die Caspar David Friedrich-Ausstellung angeschaut. Venedig natürlich einmal im Jahr, das muss sein. Und nach Kassel alle fünf Jahre zur documenta, weil wegen Kassel fährt man nicht nach Kassel.
Ist Neukirchen für Dich ein Rückzugsort fernab der Hektik?
Ja schon. Es ist immer witzig, wenn wir ein-, zweimal im Jahr Dienststellenbesprechung in Salzburg haben, da treff ich meine ehemaligen Kollegen, wir waren ja nur 15 Leute im Jahrgang des Mozarteums. „ Ja bist du immer noch in Mittersill, haben sie dich zwangsverpflichtet, was hast denn angestellt?“ Für die ist das richtig das Schlimmste. Aber ich bin ja aufgewachsen da, ich bin ja gerne da. Und zum Unterrichten ist es nett, weil die Kinder alle so brav sind.
Wie war das dann in Deiner Jugend?
Wir waren halt auch viel unterwegs. In Neukirchen war eine Diskothek und in Mittersill war auch eine Diskothek, und da waren wir halt immer. Das gibt es heut gar nicht mehr.
"Ich denk mir, wo gehen denn heut die Jugendlichen hin, die tun mir wirklich ein bisschen leid. Viel haben die nicht mehr, außer ein paar Zeltfeste und im Winter die Après-Ski-Geschichten."
Du warst ja sieben Jahre lang Zerlegekontrollorin in heimischen Schlachthöfen. Was kann man sich darunter vorstellen und wie ist es Dir in diesem doch eher männergeprägten Arbeitsumfeld ergangen?
Tja – ich war jung, ich brauchte das Geld und vor 6 Uhr haben sie doppelt bezahlt, das weiß ich noch. Für mich ist Aufstehen nie schön und da hab ich mir gedacht, ob ich jetzt um 6 Uhr aufstehe oder um 2 Uhr in der Früh ist auch schon egal. Ich hab dann im Tiefkühlhaus bis 7 Uhr den pH-Wert gemessen und die Temperatur und wenn das in Ordnung war, haben sie einen Stempel bekommen. Bei der Zerlegung hab ich auch noch schauen müssen, dass nichts anderes daruntergemischt wird. Dann heim, unter die Dusche und in die Uni. Manchmal waren die Metzger schon schroff, aber mit mir waren sie nett, die waren höflich mit mir, da hat es nichts gegeben.
Zwei nette Geschichten vom Schlachthof weiß ich noch: Mein Papa ist Künstler und wir waren ja immer weiß gekleidet, weißer Kittel, weiße Gummistiefel und ein weißes Haarnetz, und da hat er mir hinten auf den Kittel eine Kuh und ein Schwein draufgemalt und dazu geschrieben: Rettet Schwein und Stier vor mir! Das hab ich aber nicht gesehen und alle haben mich ausgelacht und ich wusste nicht, warum die alle lachen.
"Einmal haben mich die Metzger zur Weihnachtsfeier eingeladen, ich kannte die alle ja nur im weißen Gewand und ich hab sie dort nicht gefunden, weil die Herren waren alle geschniegelt und gestriegelt und im feschen Gewand und ich hab sie nicht erkannt."
Und einmal bin ich von einem vor die Türe gesetzt worden. Vor Weihnachten sind ja die Filets sehr knapp, weil alle eines haben wollen, und da wollte er mir niederländische Filets unterjubeln. Ich hab aber schon gemerkt, dass da ein Stempel mit NL drauf war und hab ihm gesagt, dass er das nicht machen kann. Da hat er mich beim Krawattl gepackt und vor die Türe gesetzt. Das hab ich mir aber nicht gefallen lassen und bin am nächsten Tag nicht zur Arbeit erschienen und da ist der Metzger dann persönlich vor meiner Tür gestanden und hat sich entschuldigt.
Im ganzen Salzburger Land gibt es noch 94 Fleischhauerbetriebe, jährlich werden ca. 30 Fleischhauer ausgebildet, der Anteil der ausgebildeten Fleischhauerinnen beträgt im Salzburger Land aber nur 11%. Woran liegt das deiner Meinung nach?
Also ich hab das auch nur gemacht, weil es gut bezahlt war, aber so attraktiv find ich das nicht mit den toten Tieren. Ich hab ja einen Schweine- und Rinderklassifizierungskurs in Utzenaich (Oberösterreich) gemacht, da bist du dann direkt in der Schlachtung und das ist schon grausig, das muss man einfach gewöhnt sein. Es ist halt auch der Umgangston sehr roh und sehr feine Leute sind sie manchmal nicht. Wenn ich da nicht als Kontrollorin gearbeitet hätte, wären sie auch ganz anders mit mir umgegangen. Einmal wollten sie, dass ich eine Aufnahmeprüfung mache: ein Viertelliter Stierblut trinken. Mich hat es so gegraust, hab mir aber gedacht das hilft jetzt nichts, wenn du dazu gehören willst, hab dann aber gesagt, dass ich es morgen mache und das war mein Glück. Ein Lehrling in einem anderen Schlachthof hat auch diese Aufnahmeprüfung gemacht und hat das Stierblut getrunken und das ist ihm im Hals gestockt, der hat dann ins Krankenhaus eingeliefert werden müssen und das hat sich natürlich herumgesprochen. Darum bin ich dann davon verschont geblieben.
"Dass das für eine Frau kein Traumberuf ist, das glaub ich schon. Jetzt würde mir das nichts mehr ausmachen, weil nach sieben Jahren war ich das gewohnt, es ist halt ein Handwerk wie jedes andere Handwerk auch."
Ich kenne nur die großen Zerlegebetriebe, da stehst du dann wie am Fließband und das ist auch nichts Schönes.
Auch in deiner Diplomarbeit von 2001, einer freien wissenschaftlichen Feldforschung, hast Du Dich wieder mit einem Thema rund um den Umgang des Menschen mit Tieren beschäftigt, der österreichischen Weidgerechtigkeit und dem Ethical Hunting in Südafrika.
Das ist der Präferenzutilitarismus von Peter Singer und die modernen deontologischen Theorien von Reagan philosophisch und ethisch aufgearbeitet. Ich war damals an der Uni auf einer Ethikvorlesung und hab mich bei dem Professor beworben, damit ich meine Diplomarbeit in Ethik machen kann. Es gab dann zwei Optionen. Die eine war in die französische Schweiz, für drei Wochen auf die Uni, wo doch ich kein Wort Französisch kann, oder eine freie wissenschaftliche Feldforschung in Südafrika. Jetzt bin ich nach Südafrika. Damals hat es gerade das Internet gegeben, ich hab mich drunten nach einer Jagdfarm umgeschaut und bin dann für drei Monate nach Südafrika. Ich war zwei Wochen auf der Farm, dann waren da zwei ganz reiche Amerikaner, und da war ich bei einer Leopardenjagd dabei. Leoparden sind ja geschützt, aber das Argument war dann, dass der Leopard beim Nachbarn jede zweite Nacht eine Kuh reißt, jetzt müssen sie den abschießen. Aber dass der Amerikaner damals 250.000 Schilling bezahlt hat, das war dann nebensächlich und da sollst du dann über Jagd und Ethik schreiben. Aber in Südafrika waren andere Jäger, zu denen ich bin, sehr bemüht, dass sie mir zeigen, dass sie weidgerecht jagen. Und auch hier in Österreich sind wirklich alle sehr bemüht.
Du bist ja seit 2004 im Lehrberuf tätig, zuerst am BRG in Zell am See und seit 2010 am BORG in Mittersill, dort leitest Du die Bildnerische Werkstatt. Wie nehmen die Jugendlichen das Angebot an?
Ich bin die einzige Lehrerin für Kunst und Gestaltung. Wir haben insgesamt 130 bis 140 Schüler, acht Klassen und da kommen sie mir nicht aus, die haben alle bei mir Kunst und Gestaltung. Wir haben auch einen kreativen Zweig und das ist total nett, weil sich immer welche bewerben, die sehr gerne zeichnen und malen, auch privat im Vorfeld schon. Das ist schon schön in kleinen Gruppen zu arbeiten, jeder kann individuell gefördert werden.
Du initiierst immer wieder die verschiedensten Workshops für die Jugendlichen, ob im Seniorenheim, ob bei Bodypainting oder allgemein der Auseinandersetzung mit moderner Kunst. Wie reagieren die Jugendlichen auf diese künstlerischen Herangehensweisen und siehst Du ein Bedürfnis bei der Jugend sich künstlerisch zu artikulieren bzw. sich damit auseinander zu setzen?
In der 5. Klasse fange ich immer an mit dem Pissoir von Marcel Duchamp und frage die Schüler, was sie davon halten, was sie glauben, dass das kostet und warum das Kunst ist. Da schauen sie mich dann schon manchmal eigenartig an. Oder ich fange an mit dem zerknüllten Papier von Martin Creed. Als Einstieg in die zeitgenössische Kunst mach ich auch so ein Knäuel und frage, warum ist das von der Gantner nicht so viel wert und warum ist das überhaupt so viel wert.
"Ich dränge den Schülern die zeitgenössische Kunst ja nicht auf, sie sollen sie nur kennenlernen und offen dafür sein, dann ist schon viel gewonnen."
In Zell am See gibt es jetzt eine Pop Art Galerie, die haben alle drei bis vier Monate eine neue Ausstellung und da fahr ich mit den Schülern hin. Die sperren dann extra auf für uns, weil sie haben ja nur am Wochenende offen und die sind sehr bemüht, es ist immer jemand da, der den Schülern die Ausstellung erklärt und das gefällt den Schülern schon sehr gut. In der 7. und 8. Klasse machen wir zum Beispiel den Feminismus in der Kunst, wir haben auch die ART-Zeitschrift abonniert, da sind viele moderne, zeitgenössische Künstler vertreten und dann suchen sie sich einen davon aus und wir arbeiten im Stil von diesem Künstler. Dadurch wird den Schülern auch bewusst, dass da mehr dahintersteckt als der schwarze Punkt auf schwarzer Leinwand.
Insofern ist es ja für Dich als Kunstvermittlerin an der Schule eine interessante Geschichte, dass das Supergau-Festival hier im Oberpinzgau stattfindet?
Das ist total lässig, weil wir jetzt dazu einen fächerverbindenden Unterricht machen. Die Kollegin, die Deutschlehrerin Petra Hochwimmer, hat das in die Hand genommen. Im Deutschunterricht machen die Schüler Texte, im Musikunterricht wird Musik zu den Texten gemacht und ich hab gestern mit der Kreativklasse angefangen. Wir schauen, ob wir Materialbilder zu den Texten machen oder Collagen, auf alle Fälle sollen die Texte darin integriert sein. Wir brauchen jetzt nur noch die Leinwände, die uns vom Festival und vom Land Salzburg zur Verfügung gestellt werden. Aber es sind schon lässige Skizzen und Ideen entstanden.
"Am 27. Mai ist die Eröffnung von dem Festivalprojekt „SUPER STADL“ und da spielt dann unsere Schulband, die Texte werden vorgelesen und die bildenden Werke werden ausgestellt. Das ist dann eine ganze Woche offen und jeder kann sich das anschauen. Alles was sich in der Hinsicht hier im Pinzgau tut, ist eine Bereicherung und ich bin schon sehr gespannt darauf."
SUPER STADL/In die Binsen gehen
Die Künstler*innen von „Café Ibiza“ hauchen drei Heustadln neues Leben ein. Durch gezielte Interventionen werden die Heustadln zu Super Stadln, die sich als alternative öffentliche Räume über das gesamte Tal erstrecken. Als Anziehungspunkte werden sie zu Orten des Zusammenkommens für das Supergau-Festival und darüber hinaus.