Georg Nussbaumer – Gaugeläut
Text und Interview: Bernhard Flieher – Kulturredakteur bei den Salzburger Nachrichten
Georg Nussbaumer, 1964 geboren in Linz, wohnhaft in Wien, ist Komponist. So steht es jedenfalls auf der Homepage. Das ist eine unzulängliche Beschreibung, denn Nussbaumer bewegt seine Klänge – in großen oder kleinen Räumen oder auch im Freien – zwischen Installation. Performance und Theater. Dabei setzte er Taucher ebenso ein wie Bogenschützen, Wagner-Musik ebenso wie den Klang von Maschinen – oder Glocken.
Herr Nussbaumer, ist es, wenn Glocken läuten, immer gleich Musik?
Glocken bedeuten für verschiedene Menschen immer etwas anderes – vom Christkind-Glöckerl bis zur
Pummerin. Oder denken wir an Schiffsglocken, Feuerglocken oder an die Kirchenglocken, die die Uhrzeit in die Landschaft läuten, aber auch als Totenglocke oder Hochzeitsgeläut fungieren. Von diesen Funktionen abgesehen, ist die Glocke ein faszinierendes Klanginstrument, auch wenn man bedenkt, dass vor der Industrialisierung Glocken und Kanonen der lauteste menschengemachte Lärm waren.
Sollten Glocken denn öfter auch für die Kunst läuten?
Viele Kirchenglocken — vor allem in den Städten— sind ja gedämpft. Sie klingen gar nicht mehr schön,
sondern oft eher blechern. Wenn man dann wo ein richtig volles Geläut hört, ist es ja ein Vergnügen, diese Freude am „Lärm“ zu erleben — an einem durchaus harmonischen Lärm. Ich finde, die Kunst soll mit allen ihren Instrumenten läuten — mit den ganz leisen und mit den ganz lauten.
Und dann entsteht Musik?
Wenn man bei Glocken an Jingle Bells denkt, werden sie natürlich gleich zu Musik – aber mein Projekt
„Gaugeläut“ versteht sich gar nicht so sehr als Musikprojekt in engerem Sinn.
Worum geht es dann?
Es ist eher ein Projekt, in dem man die Landschaft, das eigene Dasein in der Landschaft, die Distanzen, den Raum sinnlich und eben auch akustisch erfährt, wobei sich der Klang ändert, sobald man sich bewegt. Aber auch allein eine kleine Bewegung der Luftmassen bewirkt schon eine Verschiebung des Klanges – etwas, das man sonst kaum wahrnimmt. Man könnte vielleicht sagen, es ist eine „Land Sound Art Skulptur“.
Sie haben schon mit lebenden Tieren gearbeitet und auch mit Maschinen – wie kam Ihnen denn die Idee mit den Glocken?
Dies ist eines jener Projekte, an denen man nicht lange arbeitet und recherchiert und grübelt. Das kommt erst danach. Ich war wandern und plötzlich gingen in mehreren Dörfern rundherum das Kirchengeläute los. Und zwar einigermaßen versetzt. Das musste gar nicht daran liegen, dass sie nicht synchron waren sondern daran, dass der Schall sich ja relativ langsam bewegt. Ich dachte, es wäre schön, wenn man auf dem Punkt in der Landschaft stehen würde, an dem die Glocken wirklich völlig gleichzeitig zu hören sind. Also man muss einen Punkt finden, der zu allen Kirchtürmen genau den gleichen Abstand hat.
Und darum geht es jetzt in „Gaugeläut“?
Das Projekt ist genau die Umkehrung dieses landschaftlichen und architektonischen Settings. Drei Glocken werden aufgestellt, und man weiß wo der Punkt ist, wo man sie theoretisch genau gleichzeitig hört. Drei Kirchenglocken werden in einem Dreieck in der Landschaft aufgestellt. Wobei das Dreieck nicht gleichseitig, sondern unregelmäßig ist, auch sehr spitz oder sehr stumpf sein kann — die verschiedensten Formen. Nun gibt es je nach Form des Dreiecks innerhalb oder außerhalb dessen einen Punkt, der von allen drei Glocken gleich weit entfernt ist. Werden die drei Glocken exakt gleichzeitig angeschlagen, hört man sie an diesem Punkt alle gleichzeitig als einen Klang, an allen anderen Punkten werden die drei Anschläge — wegen der „Langsamkeit“ des Schalls — verschoben zu hören sein.
Was passiert also, wenn man herumwandert?
Wenn man während der Performance das Gebiet durchwandert, kann man sich selbst eine Komposition
schaffen, bei dir diese drei Töne immer in anderen Kombinationen erklingen. Man kann aber genauso gut an einem Ort bleiben und die Beteiligung der Luftbewegungen an diesem Klang-Schauspiel verfolgen.
„Gaugeläut“ ist also auch eine mathematische Berechnung. Wieviel halt Komponieren denn mit Mathematik zu tun?
Auch wenn man die physikalischen Grundlagen des Klangs, der Musik außen vor lässt, hat Komponieren
immer mit Mathematik zu tun. Es geht ja schließlich immer um Proportionen und Entwicklungen, um
Häufungen, um Symmetrien und Asymmetrien. Das ist aber hier der letzte Schritt, das Festlegen des
genauen Anschlagszeitpunktes. Ein großer Teil der Arbeit für dieses Stück ist die Erstellung des
„Instruments“ und dies hat hier weniger mit Mathematik zu tun als mit der Erfassung des Geländes und mit Experiment.
Worin liegen die Schwierigkeiten?
Naja, auf einem Salzsee wäre das Projekt sehr einfach zu berechnen und durchzuführen: Man kann die
Glocken abstellen, wo man möchte, das Publikum kann nach Belieben herumlaufen. Es gibt auch keine
Hügel, die zwischen den Glocken liegen könnten. Hier ging es aber darum, drei Punkte in der Landschaft zu finden, an denen ein LKW mit einer Glocke zufahren und halten kann, und dass der Mittelpunkt zwischen diesen drei LKWs nicht mitten in einem Acker liegt, sondern für Publikum leicht und ohne Flurschaden zugänglich ist.
Welche Rolle spielt der spezifische Ort im Rahmen von Supergau?
Obwohl in Linz aufgewachsen, war ich vorher nie in dem ungebirgigen, nördlichen Teil des Flachgaus. Als ich die Ausschreibung gelesen hatte, dacht ich gleich: diese flache, offene, hügelige Landschaft ist für diese Idee genau die Richtige. Im Gasteiner Tal wäre das Gaugeläut sozusagen topologisch unmöglich.
Abgesehen von der „technischen“ Eignung für die Aufstellung der Glocken kommt dazu, dass es eine
Gegend ist, in der einem Glockengeläut ohnehin geläufig ist und in der es schön ist, dieses „natürliche“ bzw. Jahrhunderte alte „sonic environment“ zu nehmen und zu transformieren und die Ohren dafür vielleicht etwas anders zu öffnen. Nicht nur die Ohren für den Klang, sondern auch die Ohren für die Stille, für die Geschichte, für die Gesellschaft, für die Tradition, für Sinneswahrnehmungen allgemein.