Salzburger Land

Eigenrechtsfähigkeit der Natur

Wenn von Eigenrechtlichkeit der Natur die Rede ist, so steht dahinter die Überlegung, Teilen der Natur (Ökosystemen, Gewässern, Landschaften) Rechtspersönlichkeit zuzubilligen und der Natur damit mehr Schutz zukommen zu lassen. Im Interview mit der Supermag-Redaktion beantwortet Univ.-Prof.in Dr.in Erika Wagner, Vorständin des Instituts für Umweltrecht an der JKU Linz, Fragen zum rechtlichen Hintergrund dieses Umdenkens des Schutzkonzepts, das in manchen anderen Staaten der Welt bereits besteht.

 

Supermag-Redaktion (Red): Sie sind Vorständin am Institut für Umweltrecht der Johannes Kepler Universität Linz. Seit wann beschäftigen Sie sich mit dem Thema Eigenrechtsfähigkeit der Natur und in welchem Kontext?

 

Erika Wagner (EW): Vor einigen Jahren haben wir vom OÖ Umweltanwalt den Auftrag für eine Projektstudie zu diesem Thema bekommen und haben dann in einem Team diese Studie erstellt und publiziert. Die Studie hat drei Teile: Der erste Teil, verfasst von Frau Mag.a Michaela Krömer, beschäftigt sich mit den internationalen Vorbildern, die es für das Konzept der Eigenrechtsfähigkeit gibt. Frau Krömer hat Länder wie Ecuador, Bolivien, Uganda, Mexiko untersucht, auch die Vereinigten Staaten von Amerika, Brasilien. Sie hat auch einzelne Bestimmungen hervorgehoben, z.B. in Neuseeland, Bangladesch, Australien oder Kolumbien. Sie hat den internationalen Teil sehr eingehend bearbeitet, auch die ausländischen Rechtsordnungen sind in einer Tiefe, bis hin zum Wortlaut der einzelnen Verfassungsbestimmung, bearbeitet worden.

Der zweite Teil der Studie sind die Grundlagen: Was braucht es in unserem Rechtskreis für die Eigenrechtsfähigkeit? Der zweite und dritte Teil stammt von einem Dreierteam bestehend aus Prof. Bergthaler, Kollegen Grabmair und mir. Das ist der konkrete Gesetzestext, den wir bräuchten, um das Konzept der Eigenrechtsfähigkeit in Österreich einzuführen. Wir haben eine Verfassungsbestimmung vorgeschlagen, und ein einfaches Gesetz auf Bundes- und Landesebene, so dass man, wenn man es wollte, eigentlich alles hätte – diskutieren kann man natürlich immer noch, aber wenn man es wollte, dann würde man so die Natur als Rechtsubjekt in Österreich verankern können.

 

Red: Wenn wir da noch einmal einen Schritt zurückgehen, für Menschen, die sich noch nicht damit auseinandergesetzt haben: Warum denkt man denn darüber überhaupt nach?

 

EW: Da geht es um die Frage: Wir haben ein Umweltrecht, das ist materielles Recht und Verfahrensrecht, das zu Entscheidungen im Umweltrecht führt. Ist es fair genug bzw. effektiv genug, um so die Natur zu schützen? Österreich hat 2005 die Aarhus-Konvention ratifiziert. Das war ein großer Schritt. Damit wird garantiert, dass die Öffentlichkeit in Umweltverfahren mitsprechen kann.

„Die Idee der Eigenrechtsfähigkeit ist, dass man die Interessen der Natur von den gegenläufigen Interessen klar trennt.“

Derzeit ist es so: Die entscheidende Behörde nimmt das objektive Recht wahr. Ein Sachverständiger beurteilt, welche Auswirkungen auf die Natur zu erwarten sind, wenn das Projekt verwirklicht wird. Sein Gutachten wird der Entscheidung der Behörde zugrunde gelegt. Die Rechtsordnung in allen Naturschutzgesetzen ist so, dass die Behörde dann aber noch immer kein klares Ergebnis hat, denn das Naturschutzrecht richtet sich in seiner Entscheidung nach einer Interessenabwägung. Man muss die Interessen an der Verwirklichung des Projekts den anderen Interessen, die gegen das Projekt sprechen würden, gegenüberstellen.

Bei Energiewende-Projekten gibt es z.B. jetzt die Vorgabe von Europa: Projekte für die Energiewende haben höchste Priorität. D.h. nicht alle Interessen im Verfahren sind gleich. Die Behörde hat abzuwägen, muss aber auch bedenken, dass wir eine Energiewende brauchen und kann nicht alles versagen. Das bedeutet auch, dass es naturschutzrechtlich kaum ein Projekt geben wird, das dem überwiegt. So war es z.B. in einem Fall, zu dem ich im September 2024 interviewt wurde: Da hat ein Anwalt ein Projekt, das schon wegen Naturschutzbedenken abgelehnt wurde in geänderter Form noch einmal vorgelegt mit dem Argument, jetzt müsse es genehmigungsfähig sein, weil die normative Vorgabe jetzt vorliegt, wonach ein Energiewendeprojekt ein höheres Interesse hat bei der Abwägung der Naturschutzinteressen. Und das Landesverwaltungsgericht hat ihm recht gegeben und erkannt, dass aufgrund der gestiegenen Bedeutung des anderen Interesses das Projekt jetzt genehmigt werden könnte. Und das passiert alles, ohne dass sich die Natur, die nicht reden kann, zur Wehr setzt.

In den 1980er-Jahren wurden die Landesumweltanwaltschaften geschaffen, um diese objektiven Umweltschutz-Interessen ins Verfahren hineinzutragen. Wir erleben dramatischerweise gerade die Beschneidung dieser Landesumweltanwälte als Stimme der Natur. Damit hat unsere Studie jetzt an Bedeutung zugenommen und ruft auch mehr Interesse hervor, als wir eigentlich erwartet hatten. Die beiden Novellen zum Salzburger Naturschutzgesetz waren so dramatisch, dass jetzt die Landesumweltanwaltschaft in vielen Bereichen keine Stimme mehr hat – d.h. die Behörde entscheidet allein aufgrund des Sachverständigen-Gutachtens und wägt ab. Auch die Bevölkerung hat in Naturschutzangelegenheiten keine Mitsprache.

„Wir hängen letztlich alle von der Natur ab - und damit ist die Überlegung: Wer darf über so ein wichtiges Rechtsgut disponieren (die einzelne Behörde, ein Bundesland etc.) oder bedarf es der Absicherung, die Natur im Verfassungsrang mit Rechtsfähigkeit zu versehen?“

In den einzelnen Verfahren würde diese Rechtsfähigkeit in Form eines oder mehrerer Menschen vertreten werden können, das könnte auch eine Gesellschaft, eine Stiftung sein. Aber es geht nicht nur um die öffentlich-rechtliche Seite von Verfahren in Projekten, es geht auch um die privatrechtliche Seite, dieses Recht würde auch ein Recht auf Sanierung und ein Recht auf Schadenersatz beinhalten, das die Stiftung durchsetzen kann.

(c) R. Mayr

Krimmler Wasserfälle

Red: In Ihrer Studie wird im ersten Teil mit den internationalen Beispielen sehr deutlich, dass Ähnliches oft von indigenen Gruppen vorangetrieben wird, oder in den USA oft gegen die Macht großer Konzerne gerichtet ist. Ich habe mir die Frage gestellt, wer das denn bei uns in die Hand nehmen würde?

 

EW: Ja, man müsste entweder die Umweltanwaltschaften ausbauen und auf breitere Basis stellen, oder eine Stiftung machen. Eine Stiftung kann ich gründen aufgrund der Zivilrechtskompetenz des Bundes. Das haben wir in unserem Buch als „die kleine Lösung“ tituliert. Diese „kleine Lösung“ ist jetzt schon verwirklichbar, setzt aber voraus, dass man sie übernimmt in die Gesetze und ihr eine Rolle in den Verfahren gibt. Das ist sehr unwahrscheinlich, nachdem ja jetzt genau der gegenläufige Trend der Eliminierung von Mitspracheberechtigten im Verfahren zu verzeichnen ist. Daher wird es eher unwahrscheinlich sein, dass die Länder weitere Institutionen wie Stiftungen, die sich dem Naturschutz verschreiben, in den Verfahren anhören bzw. ihnen Partei- und Beschwerderechte zuerkennen. NGOs haben nicht in allen Naturschutzverfahren Parteistellung, sondern nur in solchen, wo das UVP-Niveau erreicht wird. In der Praxis bedeutet das, dass nicht gewährleistet ist, dass für jedes Projekt, wo Gefährdung droht, jemand für die Natur eintritt. Es ist aber nicht meine Absicht, zu sagen, alles ist so schlecht, sondern angesichts der bestehenden Krisen halte ich es für wichtig, dass man die Wertigkeit der Naturgüter auch in der Rechtsordnung am richtigen Platz sieht. Wir konsumieren und verbrauchen Natur. Zu sagen, da gibt es eine eigene Rechtsperson, so etwa in Spanien die Salzwasserlagune Mar Menor, die als Rechtssubjekt anerkannt wurde, oder eine geschützte Alpinwelt, das erhöht die Wertigkeit.

 

Red: Wenn man das auf den Pinzgau bezieht – angenommen der Gletscher hätte Eigenrechtsfähigkeit, was könnte das in der Praxis bedeuten?

 

EW: Das Gegenmodell wäre, man hat eine weitere Partei im Verfahren. Der Gletscher kann eigene Rechte geltend machen, hat materielle Rechte, hat Verfahrensrechte und kann also auch Einsprüche gegen das Projekt machen sowie Auflagen beantragen und kann natürlich auch gegen die Entscheidung berufen. Das wären alles prozessuale Rechte der Natur.

(c) R. Mayr

Natur im Oberpinzgau

Die Natur ist natürlich nicht geschäftsfähig, kann keine Bankkonten eröffnen oder Ähnliches. Rechtsfähig sind in Österreich z.B. auch der „Nasciturus“, d.h. das Baby unter der Bedingung der Lebendgeburt, rechtsfähig sind auch Vermögensmassen. Die insolventen Gruppen, die gerade in den Medien sind, sind alles Vermögensmassen, die rechtsfähig sind. Da könnte man auch argwöhnen, wann redet Vermögen? Das Geld, das da noch da ist, redet nicht mit Ihnen, und der Nasciturus wird auch nicht reden, und der liegende Nachlass, also wenn jemand gestorben ist, bis zur Zeit der Einantwortung der Erben, der wird auch nicht reden, und trotzdem spricht die Rechtsordnung dieser Vermögensmasse Rechtsfähigkeit zu. Da gibt es einen Vertreter, den Insolvenzverwalter bei einem Konkurs, den Verlassenschaftskurator bei einem ruhenden Nachlass. Da nimmt keiner Anstoß, dass das Vermögen Rechtspersönlichkeit hat. Aber wenn man argumentierte, der Pinzgauer Gletscher solle Rechtspersönlichkeit haben, dann wundern sich manche sehr.

Red: Da ist die grundsätzliche Haltung bei uns demgegenüber einfach so anders, oder? Also man würde nie auf die Idee kommen, „Mutter Erde“ zu schützen, wie in Ecuador oder Bolivien. Es geht letztlich immer nur dann um den Schutz der Natur, wenn Menschen bedroht sind …

 

EW: Vollkommen richtig. Wir werden derzeit nie „Mutter Erde“ schützen. Was wir maximal naturschutzrechtlich schützen werden, ist das, was sich in den Grenzen eines Bezirks oder eines Bundeslandes abspielt. Wenn wir sagen, wir zerstören in dem Bezirk oder in dem Bundesland jetzt den Gletscher, dann ist es so. Dann haben wir als Menschen diese Macht. Und Sie sagen es vollkommen richtig: Das ist ein grundsätzliches Konzept, das hinterfragt gehört. Das ist eine Grundsatz-Diskussion.

„Es ist die Frage: Erlauben wir uns in der Rechtsordnung ein anderes Denkmodell? Lassen wir das zu?“

Red: Wahrscheinlich ist das für Sie als Juristin eine ganz blöde Frage, aber bei mir ist in diesem Zusammenhang die Frage aufgetaucht: Würde das bedeuten, wenn die Natur eine Rechtsperson ist, dass man auch die Natur im Umkehrschluss verklagen kann?

 

EW: Das ist für mich wirklich eine sehr skurrile Frage. Nein, natürlich nicht. Weil eine Naturkatastrophe ist höhere Gewalt und ist in der Rechtsordnung Schicksal. Das ist nur dann relevant, wenn der Mensch ein Risiko erhöhendes menschliches Vorverhalten gesetzt hat. Dann verklagt man wiederum nicht die Natur, sondern den Menschen, der dieses Risiko erhöhende menschliche Vorverhalten gesetzt hat. Man kann den Fluss nicht verklagen, weil die Fische sterben, weil sein Wasser zu warm wird. Selbst bei größtem „Theorie-Denken“ wäre das nicht möglich.

 

Red: Ok. Was ist denn aus Ihrer Sicht bei diesem ganzen Themenkomplex die wichtigste Frage, die zu wenig gestellt wird?

 

EW: Auf europäischer Ebene gibt es schon Dokumente, die diese Rechtsfähigkeit überhaupt nicht ins Licht des Absurden rücken, sondern als alternatives Modell anerkennen. Und das würde ich mir auch für Österreich wünschen, dass man wirklich in die Gänge kommt, dieses alternative Modell ernsthaft zu denken und auch ernsthaft die Umsetzung zu überlegen. Wie gesagt, es gibt die Möglichkeit, das jederzeit im Verfassungsrang zu etablieren, da braucht man natürlich die Zweidrittelmehrheit, aber wichtig wäre, dass man dieses Konzept ernsthaft auch als alternative Möglichkeit ansieht.

Wir haben eine ähnliche Diskussion im Tierschutzrecht, insbesondere auch bei den Nutztieren. Also die Frage, fordert man das auch für Tiere? Antwort: Ja, das ist natürlich konsequent, die lebende Natur und auch die Tiere sollten rechtsfähig sein, man muss dann aber immer in der Rechtsordnung die Vertreterfrage klären, sodass am Ende wieder ein natürlicher Mensch steht, der die Interessen aufgreift. Die Tierrechtsdiskussion ist eine Paralleldiskussion, ich würde sie aber jetzt nicht unbedingt gemeinsam führen wollen mit der Naturschutzdiskussion.”

(c) D. Gründl

Natur in Ecuador

Die Studie zur Eigenrechtsfähigkeit der Natur ist übrigens auf der Seite der OÖ Umweltanwaltschaft abrufbar: https://www.ooe-umweltanwaltschaft.at/Mediendateien/1Eigenrecht_NaturHP.pdf und wurde zudem in überarbeiteter Form 2022 als Monographie im Jan Sramek Verlag veröffentlicht:

Wagner/Bergthaler/Krömer/Grabmair, Eigenrechtsfähigkeit der Natur, ISBN 978-3-7097-0296-3

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