Die brennende Sau
Julia Schäfer (*1991) lebt und arbeitet in Paris. Als multidisziplinäre Künstlerin beschäftigt sie sich mit kollektiven Identitäten und der Funktion des passiven Gedächtnisses. Ihre raumgreifenden Videoinstallationen und Bildserien wurden u.a. im EIGEN+ART Lab Berlin, beim Kasseler Dokumentarfilm- und Videofest sowie in der Dvir Gallery Tel Aviv gezeigt. Sie erhielt zahlreiche Stipendien u.a. von der Akademie der Künste Berlin und der Stiftung Kunstfonds.
Ein flackernder Feuerkegel zieht um Mitternacht durch das Tal bei Saalfelden. Es ist keine gewöhnliche Erscheinung: Eine lichterloh brennende Sau dreht ruhelos ihre Kreise – bis ein Hof in Flammen steht.
Eine fetter Rabe klopft am frühen Morgen an die Scheibe einer Bauernstube in Neukirchen. Kaum eine Woche später bringt der Postbote die Todesnachricht vom Sohn an der Ostfront. Eine magere Ziege, eben noch zur Schlachtung bestimmt, flieht mit dem Messer im Rücken steckend in den Wald. Ihre glühenden Augen schlagen einen Bären und einen Wolf in die Flucht.
All diese Tiere durchbrechen „normale“ Verhaltensmuster, lassen den Menschen stutzen in seinem Tun – und werfen oft einen dunklen Schatten auf das, was da kommen mag. Im Volksmund heißt es etwa, der Rabe „meldet“ etwas an. Dass es für solche Begegnungen eigene Wörter gibt, zeugt davon, wie oft sie geschehen sein müssen.
Wer diesen Sagen heute lauscht, spürt darin ein Echo uralter Ängste: vor dem Tier, vor dem Tod – und vor dem Unbekannten, das beides auf unheimliche Weise verbindet.
Im Pinzgau ranken sich Erzählungen um fast jede Brücke, jeden Berg, jeden Hof. Und in vielen wird die Ordnung der Dinge auf den Kopf gestellt: Die weiße Ziege wird zum blutrünstigen Metzger, der Rabe weiß mehr als der Mensch, und die brennende Sau bringt ganze Höfe zum Niedergang. Besonders Nutztiere spielen in diesen Geschichten eine zentrale Rolle – Tiere, die einst untrennbar mit bäuerlichem Leben und Sterben verbunden waren. Über Generationen hinweg domestiziert, kehren sie in den Sagen als wilde, magische Wesen zurück.
Zeitzeugen aus der Region berichten mir von Hofschlachtungen als schon fast ritueller Akt noch bis in die 1960er Jahre: dampfendes Blut wird gerührt, ein Holzhammer trifft auf eine Stirn, Ketten schaben über Borsten, ein kopfloser Körper zuckt auf einem Holzblock. Für viele war der Tod alltäglich – aber niemals selbstverständlich. Einige berichteten mir von ihren Versuchen diesem Geschehen fern bleiben zu können, andere waren gezwungen, selbst Hand anzulegen, andere wiederum erwählten dies zu ihrem Beruf.

Julia Schäfer: "Alles hat ein Ende", 2025, Videostill
Julia Schäfer: "Alles hat ein Ende", 2025, Videostill
In meiner Arbeit Alles hat ein Ende, die für das Supergau Festival entsteht, rückt dieser Beruf und der Moment der Schlachtung ins Zentrum. Im Rahmen davon konnte ich drei Pinzgauer Metzger interviewen, eine – in Österreich noch illegale – Weideschlachtung in Deutschland filmen und Schlachtwerkzeuge typologisieren.
Hat ein Metzger ein anderes Verhältnis zum Tod? Wie sterben Tiere? Und welche Geheimnisse ranken um dieses Handwerk?
Ich selbst stamme aus einer Metzgersfamilie in fünfter Generation – und habe mich wie alle meine Cousinen, Cousins und Geschwister entschieden, den Betrieb nicht weiterzuführen. Die Metzgerei wird bald schließen und damit auch Teil einer vergangenen Zeit werden.
Mit der Mundart-Lesung Die brennende Sau im Rahmen des Supergau-Festivals am 23.5. (siehe Programm) laden Gerlinde Allmayer vom Mundartarchiv Niedernsill und ich ein, in die alpenländische Erzählwelt des Pinzgaus einzutauchen – in eine Welt, in der Tiere weit mehr sind als bloße Nutztiere. Sie erscheinen als Omen, als Warnung vor drohendem Unheil und als Spiegel des menschlichen Innersten.
Herzlichen Dank an Gerlinde Allmayer aus dem Mundartachiv Niedernsill, Leni Wallner für ihr Wissen zur Pinzgauer Sagenlandschaft und den Metzgern Alois Schultes, Jakob Hörbiger und Georg Lerchner.
Nutztiere im Supergau
Nicht nur Julia Schäfers Projekt „Alles hat ein Ende“ beschäftigt sich mit Nutztieren.
Auch der „Original Pinzgauer Almabtrieb“ widmet sich der Frage, was mit einem Nutztier passiert, das für den Menschen keinen Nutzen mehr hat. Wird es zum Kult? Zum Symbol für Ursprünglichkeit und Qualität? Zur Projektionsfläche nationaler Fantasien? Und wie gehen wir als Gesellschaft mit unseren Nichtsnutzen um, die nicht die Ansprüche von Hochleistung erfüllen? Das Künstler*innenkollektiv HB & Töchter widmet sich diesen Fragen bei einem theatralen Fußmarsch rund ums Pinzgauer Rind, bei dem das Publikum zur Herde wird.