Conversation piece: Lasst uns reden
Supergau Künstler Edwin Stolk stellt sich und sein Projekt vor und ruft zum Mitmachen auf.
Edwin Stolk:
Ich bin ein niederländischer Künstler, der in der Nähe von Rotterdam lebt. Das Schöne an Kunst ist, dass sie viele Formen und Möglichkeiten hat. Ich bin besonders an den sozialen Einsichten interessiert, die Kunst bei der Zusammenarbeit bieten kann. Um Bedeutung zu schaffen, versuche ich, den Lungau und die Menschen, die dort leben, kennen zu lernen.
Deshalb habe ich mich sehr gefreut, als ich im Juni von der Kuratorin Tina Heine im Vorfeld des Supergau Festivals eingeladen wurde, in diese schöne Umgebung zu kommen. Wir wohnten im Hotel Post mit einer großen Gruppe von KünstlerInnen. Nach einer zweitägigen Autofahrt mit meiner Frau Hristina wurden wir von der Familie Mayr in Mauterndorf empfangen.1
Es war ein beeindruckendes Wochenende mit vielen besonderen Begegnungen und Gesprächen. Wir wurden herzlich von Tina Heine, sowie Matthias Ais und Martina Berger-Klingler vom Land Salzburg begrüßt. Anschließend wurden wir von Bürgermeister Georg Gappmayer aus Tamsweg herumgeführt und genossen ein wunderbares Abendessen im Schloss Kuenburg.2 Es versprach, ein inspirierendes Wochenende zu werden.
Bei meiner ersten Online-Recherche hatte ich von der ‚Landflucht‘ gelesen.3 So nennt man es, wenn junge Menschen das Land gegen die Großstadt tauschen. Dieses Thema fasziniert mich, denn es sagt etwas über die Vorlieben, die wir haben. Wo wollen wir leben und unter welchen Umständen? Während meines Aufenthalts in der Region habe ich mit verschiedenen Menschen über dieses Thema gesprochen.
Ich stellte fest, dass lokale Traditionen und Rituale einen wichtigen Platz im täglichen Leben einnehmen. Gleichzeitig stellte ich fest, dass diese alten Traditionen heute als Veranstaltungen in der touristischen Agenda angekündigt werden. Das brachte mich zum Nachdenken. In den Niederlanden ist außerhalb der berühmten touristischen Stätten und Dörfer wenig von den alten Traditionen übriggeblieben.
Es fällt mir auf, dass die ‚Landflucht‘ oft als etwas Negatives gesehen wird. Leere Läden sind hier und da zu sehen. Durch die Globalisierung gibt es eine weltweite Tendenz, dass Menschen, Wissen und Ressourcen hauptsächlich in und um die großen Städte konzentriert werden. Aber neue Technologien bieten auch die Möglichkeit, Menschen aus dem Ausland anzuziehen und schrumpfende Gemeinden wiederzubeleben.
Die jungen Leute, mit denen ich spreche oder über die ich lese, gehen zum Beispiel nach Salzburg, Graz, Wien oder Linz zum Studieren. Eine von ihnen wies auf die lange Fahrtzeit von Wien nach „Hause“ hin. Die Qualitäten der Landschaften treten langsam in den Hintergrund, so scheint es. Ich frage mich, ob der Klimawandel und die Coronakrise ein anderes Licht darauf werfen könnten?
Unter den Menschen, mit denen ich gesprochen habe, waren auch junge Leute, die von außerhalb Österreichs zum Arbeiten in diese Region gekommen sind. Die Frage, die sich aus diesen Gesprächen ergibt, ist: Wie zugänglich ist die lokale Gemeinschaft für Neuankömmlinge? Ich habe im Internet gelesen, dass man sich sogar als Außenseiter fühlen kann, wenn die Eltern aus Graz stammen.4 Wie kann man also die reichen lokalen Traditionen aufrechterhalten, wenn die eigene Bevölkerung schrumpft?5
Wir besuchten einen Vortrag von Georg Macheiner über den Lungau als größten Biosphärenpark in Österreich. Auf der Website dieser Modellregion für nachhaltige Entwicklung sehe ich die Zukunftsvision eines Jungen und eines Mädchens auf einer Almwiese, gekleidet in traditioneller Kleidung.6 Heike Posch, Produktionsleiterin des Supergau Festivals erklärt mir, dass diese Kleidung von Generation zu Generation weitergegeben wird und daher sehr nachhaltig ist. Ich frage mich, was ich mit diesem Bild anfangen soll, wenn ich gerne in den Lungau kommen und dort leben möchte?
Der Lungau hat eine reiche kulturelle Vergangenheit und diese Vergangenheit ist überall sichtbar, aber wie sieht es mit dem Bild der Zukunft aus? Dieses Plakat bei Tamsweg mit der Aufschrift „Wir schützen Österreich“ macht deutlich, dass die Zukunft vor allem eine sichere Zukunft sein muss. Aber wie bindet man junge Menschen an diese Region und lädt sie aus dem Ausland ein, sich einzubringen und eine Zukunft im Lungau aufzubauen?
Im Rahmen dieser Frage sammle ich Ideen für die Entwicklung dieser Region. Ich bin neugierig, was denken Sie? Jemand hat mir zum Beispiel gesagt: „Warum schaffen wir nicht flexible Arbeitsräume in den leerstehenden Geschäften in Mauterndorf?“ Indem ich während des Festivals 2023 an verschiedenen Orten Bautafeln aufstelle, möchte ich diese Ideen in ihrem Umfeld sichtbar machen und „Fenster der Möglichkeiten“ anbieten. Welche möglichen Entwicklungen in Ihrer Stadt oder Ihrem Dorf machen den Lungau für Jugendliche attraktiv?
Lassen Sie mich wissen, ob Sie mit Ihren Ideen zu ‚Conversation pieces‘ beitragen wollen oder ob Sie bei der Realisierung dieses Kunstprojekts helfen wollen: info[at]edwinstolk.nl
Ich werde im September in den Lungau zurückkehren und würde mich freuen, Sie persönlich kennenzulernen. Die wunderschönen Fotos in diesem Artikel wurden von meiner Frau Hristina Tasheva gemacht.
Alles Gute, Edwin
1 https://www.hotelpost-mauterndorf.at/
2 https://second.wiki/wiki/schloss_kuenburg_tamsweg
3 https://www.addendum.org/landflucht/
4 https://www.addendum.org/landflucht/vom-weggehen-und-zurueckkehren/
5 https://simil.io/geographie/hochalpen/lungau/bevoelkerungsentwicklung-2011-2018
6 https://www.biosphaerenpark.eu/